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Soja war gestern

ERDHEILUNGSPLÄTZE - Statt mit seinen 18 Feldern in Sachsen-Anhalt Geld zu verdienen, will Tilo Hildebrandt sein Land der Natur zurückgeben. Was das mit der Kernforschung zu tun hat.

Das Feld, über das Tilo Hildebrandt mit seinen Stiefeln läuft, ist ein fruchtbares Feld. Es liegt am Rande von Dölkau im Saalekreis. Vor nicht allzu langer Zeit wurde auf dem Feld noch Soja angebaut. Starke Pflanzen wuchsen aus der dunklen Erde. Nun ragt büschelweise Gras aus dem Boden. Es sieht aus wie ungekämmtes Haar. „Ich habe dem Bauern verboten, hier Soja anzubauen“, sagt Tilo Hildebrandt. Und das gelte nicht nur für dieses Feld.

Der 71-Jährige besitzt mehrere Äcker. Ihm gehören 18 Flurstücke, die alle in Sachsen-Anhalt liegen. Er könnte den Boden verpachten und damit reichlich Geld verdienen. Doch das will der studierte Ökonom und Professor für Online-Handel gar nicht. „Der Wert eines bewirtschafteten Feldes ist ökologisch gering, weil es darauf nur eine geringe Tier- und Pflanzenvielfalt gibt“, erklärt Hildebrandt. Der ökonomische Wert eines solchen Feldes sei jedoch hoch, weil mit dem Acker Profit gemacht werden könne. „Ich drehe das Ganze nun einfach um.“ Seine Felder sollen ökonomisch wertlos werden, indem darauf nichts mehr angebaut wird -er entzieht sie der Nutzung. Ökologisch allerdings gewinnen sie auf diesem Weg an Wert.

Am Rande des Ackers bei Dölkau, von der Straße gut sichtbar, hat Hildebrandt ein Schild aufgestellt. Darauf steht: „Erdheilungsplatz“. „So nenne ich die Flächen, die ich der landwirtschaftlichen Nutzung entziehe und auf denen sich die Natur ungestört ausbreiten kann“ erklärt er.

Natur wird konsequent zerstört

Die meisten seiner Flächen sind Erbstücke, seit langer Zeit im Besitz seiner Familie. „Ich selbst wurde in Göhren geboren, das ist nur zwei Dörfer weiter“, erzählt der 71-Jährige. Sein Vater sei nach dem Krieg allerdings mit dem Staat angeeckt, habe zu laut von „roten Blutsaugern“ gesprochen. „Dafür kam er in Leipzig ins Gefängnis.“ Nach dem er wieder entlassen wurde, verließ er die DDR in Richtung Westen, in die Nähe von Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen). Tilo Hildebrandt und seine Mutter folgten dem Vater bald. „In Göhren blieb meine Großmutter mit ihrem Bauernhof zurück.“ Die Familie war fortan Ost-West-getrennt. „Weil wir nicht viel hatten, ging ich in den Ferien oft zu meiner Großmutter, da gab es wenigstens genug zu essen“, erinnert sich Hildebrandt.

Er ist gut in der Schule, studiert als erster aus seiner Familie und schreibt sogar eine Doktorarbeit. „Ich bekam dann einen Job in Jülich, im Kernforschungszentrum.“ Dort in Nordrhein-Westfalen arbeitet er als einer der wenigen Ökonomen an Systemanalysen mit. Anfang der 80er Jahre ist das. „Wir haben damals untersucht, wie eine sinnvolle Energienutzung der Zukunft aussehen könnte.“ Dabei habe die Vermeidung von Schäden im Fokus gestanden. Die Studien zeigten, dass der CO2-Gehalt der Luft weiter steigen werde und dass das zu einem Klimawandel führen könnte. „Das war damals schon klar, vor 40 Jahren“, meint Hildebrandt. „Aber die Studien verschwanden in der Schublade, keiner interessierte sich dafür.“ Diese Erfahrung prägt den Wirtschaftsprofessor bis heute. „Das Handeln wider besseres Wissen war damals verbreitet und ist es noch immer“, meint er.

Besonders im Bezug auf die Natur sei das augenfällig. Diese werde konsequent zerstört, obwohl sie doch die menschliche Lebensgrundlage sei. „Ein Beispiel ist die Bodenversiegelung“, sagt Hildebrandt. „Jeden Tag werden 70 Hektar Fläche in Deutschland versiegelt.“ Die Natur verliere so immer mehr Raum (siehe „Der Natur genommen“).

Zwischen den Studien am Kernforschungszentrum in Jülich und den Erdheilungsplätzen liegen für Hildebrandt allerdings noch viele Jahre der Selbstständigkeit und des Unternehmertums. Mit befreundeten Wissenschaftlern gründet er eine Firma, die das System entwickelt, das bis heute die Kartenzahlung an Tankstellen ermöglicht. Als die PCs zur Massenware werden, ist er tief im IT-Sektor verwurzelt. „Ich hatte damals vier Firmen, die den Handel mit Computern, aber auch die Softwareentwicklung abdeckten“, erinnert er sich. Irgendwann wurde sein Unternehmertum ihm jedoch zu groß. Zwei der Firmen gingen pleite. „Das war eine schmerzhafte Erfahrung, rückblickend aber das Beste, was mir passieren konnten.“ Denn sonst, meint Hildebrandt, wäre er nicht, wo er heute ist - auf seinem Erdheilungsplatz am Rande von Dölkau.

Nach dem Tod seiner Mutter erbt Hildebrandt, der heute nahe Bonn (Nordrhein-Westfalen) lebt, die Felder der Familie. Der Großteil wurde bis dahin von einer Agrargenossenschaft bewirtschaftet. Allerdings gehörten die Flurstücke mittlerweile zu riesigen Ackerflächen, weswegen sie nur schwer einzeln herauslösbar waren. „Ich vereinbarte dann, dass ich als Ausgleich Randstücke bekomme - allerdings mit vier Mal so viel Fläche.“

Stiftung hilft mit

Um die Felder über Generationen zu erhalten, hat Hildebrandt die Stiftung „Erdheilungsplätze“ gegründet. An die kann jeder, der dem Beispiel des 71-Jährigen folgen will, eigene Ackerflächen geben. Diese Felder dürfen dann nicht mehr landwirtschaftlich genutzt werden. Es sind lediglich Maßnahmen zulässig, die sie ökologisch aufwerten - nicht ökonomisch.

„Für meine Enkel
sehe ich schwarz.“

Tilo Hildebrandt
Wirtschaftswissenschaftler

Der Natur genommen

Jeden Tag werden in Deutschland Flächen versiegelt. Das bedeutet, sie werden bebaut, betoniert, asphaltiert, gepflastert oder anderweitig befestigt. Auf dem vormals grünen Land befinden sich nach der Versiegelung Fabriken, Straßen oder Wohnhäuser. Aktuell beträgt der Flächenverbrauch laut Umweltbundesamt (Uba) etwa 52 Hektar Fläche pro Tag. Das entspricht umgerechnet 73 Fußballfeldern.

Jedoch hat sich die Versiegelung in den vergangenen Jahren stetig verringert. Zwischen 1997 und 2000 lag sie nach Uba-Angaben noch bei 129 Hektar am Tag. Bis 2030 will die Bundesregierung den Flächenverbrauch auf unter 30 Hektar drücken. Denn: die Ver-siegelung schadet dem Boden, begünstigt Hochwasserereignisse und führt zu mehr Straßenverkehr. Zudem wird der Natur Raum genommen.

Julius Lukas

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